Taser töten. Statement 05.07.25

Taser töten. Gegen den Antrag, Taser flächendeckend in NRW einzuführen. Ein Statement des Solidaritätskreises für Ibrahima Barry.

Mülheim an der Ruhr, 05.07.2025

Am 6. Januar 2024 starb Ibrahima Barry im Zuge eines Polizeieinsatzes in seiner Geflüchtetenunterkunft in Mülheim an der Ruhr. Ibrahima befand sich an diesem Tag in einer psychischen Krise. Anstatt professionelle Hilfe zu erhalten, wurde er getasert und gewaltsam fixiert. Ibrahima starb bei dem Einsatz. Auch nach 18 Monaten laufen die Ermittlungen in diesem Fall noch immer. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat bisher nicht mitgeteilt, ob die Ermittlungen abgeschlossen sind und welches Ergebnis diese hatten. 

Vor diesem Hintergrund können wir nicht schweigen: Am Donnerstag, dem 10.07.25 um 15:20 Uhr, soll im Landtagsplenum eine Debatte über die Einführung von Tasern in ganz NRW stattfinden. Wir fordern das Landtagsplenum auf, den Antrag abzulehnen. Die schwarz-grüne Landesregierung sollte zudem insgesamt von dem Vorhaben der weiteren Ausstattung von Polizeibehörden mit Tasern Abstand nehmen.

In einem von der FDP-Fraktion am 01.07.2025 entworfenen Antrag (Landtag NRW, Drucksache 18/14534) wird vorgeschlagen, Taser in ganz NRW einzuführen. Der Antrag ist ableistisch und nimmt den Tod psychisch erkrankter Menschen in Kauf. Der Antrag ist auch rassistisch, denn der Großteil der Menschen, die mit Tasern angegriffen werden, sind Schwarze Menschen und People of Color.1 Diese Informationen werden in dem Antrag jedoch nicht berücksichtigt. Schon jetzt wird der Taser in zahlreichen Polizeibehörden in NRW genutzt, im Jahr 2024 wurde er laut Landesregierung 280 mal im Einsatz genutzt, 1.030 mal wurde die Anwendung angedroht.

Im Antrag ist die Rede davon, Polizist*innen gegen psychisch erkrankte Menschen zu „schützen“. Somit wird eine bereits verletzliche Gruppe der Gesellschaft ableistisch kriminalisiert und in Gefahr gebracht, durch Taser getötet zu werden. Psychisch erkrankte Menschen werden unter Generalverdacht gestellt. Es wird über die „Fürsorge für die Frauen und Männer im Polizeidienst“ gesprochen. Fürsorge? Was soll dieses Wort hier bedeuten, wenn gleichzeitig der Plan erwähnt wird, Waffen einzusetzen, die immer wieder das Leben von Schwarzen Menschen und People of Color nehmen?

Taser sind Teil eines rassistischen Weltbildes, dass Schwarze Menschen und People of Color fesselt, einsperrt und tötet. All dies geschieht angeblich im Namen der Sicherheit. Genauso wie in diesem Papier über die Sicherheit von Polizist*innen gesprochen wird. Warum wird dort über die Sicherheit von Polizist*innen gesprochen, aber nicht über die Menschen, die diesen Waffen ausgesetzt sind? Warum wird dort nicht von der Sicherheit Schwarzer Jugendlicher oder von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gesprochen? In dem Dokument wird deutlich, wessen Sicherheit im öffentlichen Diskurs  und auf staatlicher Ebene zählt. Die Sicherheit von Schwarzen Jugendlichen und psychisch erkrankten Menschen ist nach der Logik dieses Antrags irrelevant.

Im Antrag wird über Taser als eine weniger tödliche Alternative zur Schusswaffe gesprochen. Dies ist nicht nur aufgrund der mindestens zehn Toten durch Taser in Deutschland2 und der mindestens 1.081 Toten in den USA3 und vielen weiteren weltweit falsch, sondern prinzipiell unmöglich. Waffen sind tödlich, und die Frage ist nur, wann sie töten und wen. Und die FDP wagt es sogar, von einer „positiven Taser-Bilanz“ zu sprechen. Vermutlich ist es in deren rassistischen Weltbild „positiv“, dass Menschen sterben, für die sie sich sowieso nicht interessieren.

Taser sind tödlich. Besonders gefährdet sind Menschen mit Herzvorerkrankungen oder Menschen unter Einfluss von Drogen. Das hat sogar Axon Enterprise zugegeben, das Unternehmen, das die meisten Taser weltweit herstellt. Der Journalist Matthias Monroy argumentiert deshalb, dass Taser in jedem Fall unzulässig sind, da Polizist*innen nicht wissen können, ob eine Person diese Bedingungen erfüllt, wodurch sich die Gefahr eines tödlichen Einsatzes erhöht.4

In dem Antrag der FDP-Fraktion wird so getan, als würden Taser den Einsatz von Schusswaffen minimieren. Es liegt jedoch nah, dass Polizist*innen Taser einsetzen anstatt deeskalierende Methoden anzuwenden. Taser beruhigen Menschen nicht. Im Gegenteil bringen sie Menschen in eine Bedrohungssituation, was die Situation immer nur verschlimmert. Deeskalierend wäre es, auf Menschen zuzugehen und wahrzunehmen, was sie überhaupt brauchen. Im Gegensatz zu dem, was die FDP-Fraktion behauptet, steigt durch die Einführung von Tasern die Wahrscheinlichkeit ihrer Anwendung und somit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch stirbt.

Es wird auch die flächendeckende Einführung von Tasern als „wirtschaftlich vertretbar“ bezeichnet. Es wird gerechnet, dass die Einführung dieser tödlichen Waffen in ganz NRW 9,6 Millionen Euro kosten würde. 9,6 Millionen Euro, von denen das Unternehmen Axon Enterprise höchstwahrscheinlich stark profitieren wird. Hinzu kämen laut Antrag jährlich wiederkehrende Kosten für „Verstetigungstrainings“ in Höhe von ca. 1,14 Millionen Euro. Wie Axon auf seiner Website mitteilt, ist die Herstellung tödlicher Waffen unter dem Deckmantel des „Weniger-Tödlich-Seins“ ein sehr profitables Geschäft mit einem Jahresumsatz von 1,1 Milliarden.5 Die 9,6 Millionen Euro könnten stattdessen für soziale Programme, psychologische Unterstützung und die Förderung Schwarzer Jugendlicher in schwierigen Lagen eingesetzt werden.

Die Opfer von Tasern sind keine abstrakten Zahlen, sondern sehr konkrete Menschen wie Ibrahima Barry. Der junge Mann aus Guinea starb am 6. Januar 2024 im Zuge eines Polizeieinsatzes in einer Geflüchtetenunterkunft in Mülheim an der Ruhr. Ibrahima befand sich an diesem Tag in einer psychischen Krise. Anstatt professionelle Hilfe zu erhalten, wurde er zweimal getasert und gewaltsam fixiert. Ibrahima starb nach dem Einsatz der Taser. Auch nach 18 Monaten laufen die Ermittlungen in diesem Fall noch immer. Wir fordern unter anderem die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Einsatz von Tasern und dem Tod von Ibrahima. Wie kann man sich mitten in den Ermittlungen zu so einem Antrag hinreißen lassen? Wir halten dies für respektlos gegenüber der Familie Barry, aber auch für bezeichnend für das mangelnde Interesse an der Aufklärung dieses Falls, von der bis heute wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist. Nach 18 Monaten Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Duisburg noch immer nicht mitgeteilt, ob die Ermittlungen abgeschlossen sind und welches Ergebnis diese haben. Der Fall von Ibrahima lehrt uns sehr viel darüber, wer die Menschen sind, von dem in dem Antrag implizit behauptet wird, es wäre in Ordnung, sie zu töten. Schwarzer Jugendlicher, asylsuchend, psychisch erkrankt.

Der Vorschlag, Taser in NRW flächendeckend einzuführen, sieht von den Ermittlungen des Todes von Ibrahima ab. Solch eine Entscheidung kann nicht mit einseitigen Informationen getroffen werden, denn sie verdecken die Gefahr, die hinter diesen Technologien steckt. Was soll das für eine demokratische Entscheidung sein, wenn nicht alle Informationen vorliegen? Aber vor allem: Wie kann so eine Entscheidung getroffen werden, ohne ein Mal den Menschen zugehört zu haben, die am meisten die Konsequenzen von solchen Entscheidung tragen? Wie kann so eine Entscheidung getroffen werden, ohne z.B. die Angehörigen von Opfer von tödlicher Polizeigewalt wahrgenommen zu haben?

Die FDP-Fraktion sollte sich schämen, überhaupt so einen Antrag stellen zu wollen. Auch alle, die ihn überhaupt für plausibel halten. Als Solidaritätskreis, der sich für Gerechtigkeit für Ibrahima einsetzt, können wir jetzt nicht schweigen. Es ist unsere Pflicht im Kampf für Gerechtigkeit für Ibrahima, uns laut gegen diesen Antrag zu stellen. Der Antrag fordert sehr explizit, dass Communities, die bereits in eine sehr schwere Lage gebracht werden, weiter prekarisiert und verletzt werden. Dieser Antrag macht die tödliche Gefahr unsichtbar, der diese Communities bereits ausgesetzt sind.

Wir sagen Nein zu Tasern, Nein zu ableistischen Weltbildern, Nein zur Entmenschlichung durch Rassismus. Wir sagen Nein zu deren Tötungspolitik.

  1. O’Brien, Anthony; Thom, Katey: „Police use of TASER devices in mental health emergencies: A review“. In International Journal of Law and Psychiatry 37(4); 2014, S. 420-426.
  2. Monroy, Matthias. Bundesweit Tausende Taser-Einsätze. In nd, 07.01.2025: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188030.elektrische-polizeiwaffe-bundesweit-tausende-taser-einsaetze.html (zuletzt aufgerufen am 05.07.25).
  3. Reuters Special Report: https://www.reuters.com/investigates/special-report/usa-taser-database/ (zuletzt aufgerufen am 01.06.2025).
  4. Monroy, Matthias: „Elektrische Polizeiwaffe. Taser Töten“. In nd, 07.01.2025: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188034.elektrische-polizeiwaffe-taser-toeten.html (zuletzt aufgerufen am 01.06.2025).
  5. Axon Investor Website: https://investor.axon.com/home (zuletzt aufgerufen am 01.06.2025).