Pressemitteilung
Warum musste Ibrahima sterben?
Mülheim a.d. Ruhr, 10.01.2024
Nach dem Tod des Guineer Ibrahima Barry, am 06.01.2024, bildet sich der Solidaritätskreis „Justice for Ibrahima“, um an Ibrahima zu gedenken und sich mit der Familie und Freunden für eine vollumfängliche Aufklärung seiner Todesumstände einzusetzen. Der Solidaritätskreis, bestehend vor allem aus lokalen Initiativen aus der Community, plant am 19.01.21 eine Gedenkkundgebung mit ab 14 Uhr auf dem Kurt-Schumacherplatz für Ibrahima, um zu trauern und zu gedenken und um ein Zeichen für Gerechtigkeit zu setzen. Am 12:45 Uhr gibt es einen Aufruf, in den Mülheimer Moscheen für Ibrahima Barry zu beten.
Gilberte Raymonde Mandel-Driesen vom Verein Axatin e.V. und stellvertretende Vorsitzende vom Integrationsrat Mülheim an der Ruhr betont die Notwendigkeit, dass nun vor allem die Perspektiven der Angehörigen und Freunde aus der lokalen Community in den Vordergrund gerückt werden müssen:
Gilberte Raymonde Mandel-Driesen: Die lokale Community macht sich stark und hat eine eigene Stimme. Wir wollen hier in Mülheim ein deutliches Zeichen setzen, dass wir Ibrahima gedenken und innehalten aber auch mit Nachdruck Aufklärung fordern. Ich bin selber Mutter und muss in der Angst leben, dass meinen Kindern das Gleiche passieren könnte. Eine weitere Frage von uns ist, warum Ibrahima als einziger junger schwarzer Mann, quasi isoliert, in einer Unterkunft untergebracht war, wo sonst nur Ukrainer untergebracht wurde. Hat er dort auch Rassismus erlebt?“
Raymonde Mandel-Driesen steht zusammen mit der Community auch im Kontakt zur Familie von Ibrahima Barry. Die Familie in Guinea ist in tiefer Trauer und wünschen sich, dass der Leichnam nach Guinea überführt wird.
Zitat Familie: Wir wünschen uns, dass wir unseren Sohn in der Heimat beisetzen können. Wir haben ihn schon sehr lange nicht mehr gesehen und konnten uns nicht verabschieden. Unsere Trauer lässt sich nicht in Worte fassen. Wir wünschen uns, dass wir die persönlichen Gegenstände von Ibrahima erhalten.”
Der Vorsitzende von Aman e.V. ist den Tränen nah und ebenso schockiert über den Tod von Ibrahima wie alle Freunde von ihm. Sie berichten, dass er 2016 im Alter von 16 Jahren als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter aus Guinea nach Deutschland gekommen sei. Die Familie lebt weiterhin in einem kleinen Dorf in Guinea, Ibrahima hat sieben Geschwister. Sie beschreiben ihn als einen ruhigen jungen Mann, der es im Leben schwer hatte. Er hatte keine Arbeitserlaubnis, hatte kaum Geld und Schwierigkeiten Fuß zu fassen. Ein selbstbestimmtes Leben blieb ihm in Deutschland verwehrt.
Zitat Freunde: Er wollte immer arbeiten, er wollte unbedingt arbeiten. Er wollte als Fliesenleger arbeiten. Er hatte Anbindung an Unterstützungsorganisationen, die ihm eine Arbeit vermitteln wollten. Aber sein Aufenthaltsstatus hat ihm das verwehrt.”
Sie fragen sich, ob die Polizei nicht hätte anders handeln können. Sie haben in der Presse gelesen, wie nun über ihren Freund berichtet wird: drogensüchtig, gewalttätig, kriminell. Sie erzählen eine andere Geschichte von Ibrahima. Eine Geschichte, die vielen Geschichten von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteter gleicht, die auf sich alleine gestellt sind und keine Perspektiven haben.
Zitat Freunde: Racial Profiling erleben wir jeden Tag: auf dem Weg zur Arbeit, auf der Arbeit, im Straßenverkehr, in allen alltäglichen Situationen. Nur weil wir Schwarz sind. Ich bin traurig, ich habe Wut, wir werden diskriminiert. Viele schwarze Menschen sind schon durch die Polizei getötet worden, z.B. Oury Jalloh in Dessau oder vor einem Jahr in Dortmund, Mouhamed Dramé. Wir fühlen uns an die Zustände in Amerika erinnert. Wir wollen Gerechtigkeit für Ibrahima. Wir wollen die Wahrheit herausfinden. Wir vertrauen nicht auf die Aussagen der Polizei. Es gibt viele offene Fragen. Wie ist das passiert? Warum hat die Polizei das gemacht? Die Polizei soll nie wieder einen Afrikaner töten, wir haben die Schnauze voll davon. Wir denken, die Polizei könnte anders reagieren, ohne Taser und Waffen. Warum musste Ibrahima sterben? Er war ein Mensch, er hat das Recht auf Leben. Es gibt keinen Grund, jemanden zu töten. Und wir haben ihn am Samstagmittag noch getroffen, er war mit dem Fahrrad in der Stadt, er machte einen gesunden Eindruck. Er hat einen Kuchen am Kiosk gekauft.”
Lena Wiese (Initiative Amed Ahmad, Zentrum für Kultur Duisburg Hochfeld (SGDV e.V.): Von Tag eins können wir beobachten, wie der institutionelle Rassismus innerhalb der Polizei auch nach Ibrahimas Tod weitergeführt wird. Wir können eine Täter-Opfer-Umkehr beobachten, die Ibrahima selbst die Schuld an seinem Tod gibt. Das kennen wir auch aus anderen Todesfällen durch die Polizei: Giorgios Zantiotis aus Wuppertal, Mouhamed Dramé aus Dortmund, Amed Ahmad aus Geldern. Und obwohl die toxikologischen Ergebnisse nach der Obduktion noch gar nicht vollständig ausgewertet sein können, wurde bereits am Montag die Schlagzeile verbreitet, dass Ibrahima Kokain genommen habe. Sollte das stimmen, ist noch lange nichts über den Zeitpunkt des Kokainkonsums bekannt: Kokain ist über einen sehr langen Zeitraum im Blut nachweisbar. Und selbst wenn: meines Wissens steht auf Kokainkonsum keine Todesstrafe. Aber mit diesem Framing setzt man natürlich von Anfang auf Mechanismen der Abwertung: krimineller, junger, aggressiver, schwarzer Drogenkonsument, der nicht Teil unserer Gesellschaft ist und auch nie sein kann. “
Zitat Adanna Arndt (Initiative Amed Ahmad, Zentrum für Kultur Hochfeld, SGDV): Es ist wichtig deutlich zu sagen, dass es sich hier wieder um einen Schwarzen Mann handelt, der durch die Polizei getötet wurde. Die Fluchtursachen, der antischwarze Rassismus innerhalb der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Polizei, müssen im Rahmen des Gedenkens und der Aufklärung thematisiert werden. Warum musste Ibrahima sterben? Weil er Schwarz war. Wir brauchen jetzt eine starke zivilgesellschaftliche Antwort.“
Die generationsübergreifende Traumatisierung der Community wird nun wieder spürbar. Das muss jetzt auch durch uns begleitet und verantwortungsvoll bearbeitet werden, resümiert Raymonde Mandel-Driesen. Ibrahima Barry, rest in power!