Rede 19.01.25

Gerechtigkeit für Ibrahima! 

Wir sind heute hier, um Ibrahima Barry zu gedenken, der am 06. Januar 2024 in Mülheim an der Ruhr von der Polizei getötet wurde. 

Ibrahima ist in Guinea geboren und als Teenager mit der Hoffnung auf ein gutes Leben nach Deutschland gekommen. In Guinea hat er Familie, mit der er ständig in Kontakt war. Ibrahimas Leben wurde ihm aber systematisch schwer gemacht. 2016 hat er einen Asylantrag gestellt, der direkt abgelehnt wurde. Obwohl Ibrahima von Abschiebung bedroht war und keine Arbeitserlaubnis bekommen hat, hat er ein Leben in Mülheim an der Ruhr gefunden. Er hat Briefe an seine Freund*innen geschrieben, mochte Rap-Musik und Fußball. Er hatte schon lange mit psychologischen Problemen zu kämpfen. Am Tag seines Todes befand er sich in einer psychischen Krise. Ibrahima war Mitte 20. Ibrahima war, wie wir alle, ein Mensch mit Gefühlen, Wünschen, Hoffnungen.

Was wir wissen darüber, was am 06 Januar 2024 passiert ist? Ibrahima hat sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden, weshalb der Sicherheitsdienst der Geflüchtetenunterkunft, in der Ibrahima gelebt hat, die Polizei gerufen hat. Ibrahima war unbewaffnet und war in keinem Moment eine Gefahr für die Polizist*innen. Dass er im Zuge des Polizeieinsatzes gestorben ist, zeigt klar, dass die Polizei nicht deeskalativ handelt. Die Polizei hat die Situation nur noch mehr eskaliert, weil sie nicht die Aufgabe und Fähigkeit hat, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen zu unterstützen. Es ist zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen, Ibrahima wurde von der Polizei zweimal mit einem Taser beschossen und verstarb nach einem Herzstillstand. Dass nach einem Jahr immer noch wenig öffentlich bekannt zu den genauen Umständen des Todes von Ibrahima ist, zeigt, dass die Polizei sich selber schützt. 

Und wie so oft, haben die Polizei und die Medien von Anfang an versucht es so darzustellen, als ob Ibrahima selbst an seinem Tod schuld wäre. Es wurde versucht uns davon abzulenken, wo die Verantwortung für den Tod von Ibrahima liegt, indem über Drogenkonsum gesprochen wurde. Schon wieder sehen wir die gleiche Täter/Opfer-Umkehr wie in allen Fällen von Polizeigewalt. Es wird über Drogen, Aggressivität oder Ähnliches gesprochen, was Ibrahima entmenschlicht und als Rechtfertigung für seinen Tod verwendet wird. Es verdeckt, dass Ibrahima nicht gestorben wäre, wenn die Polizei an dem Tag nicht gekommen wäre und ihn getasert hätte. Diese Strategie wird verwendet, um den Rassismus der Polizei zu verstecken. Warum wurde Ibrahima überhaupt als gefährlich angesehen und nicht als ein Mensch, der Unterstützung braucht? Anstatt über Drogen zu sprechen, sollten wir darüber sprechen, warum Ibrahima in einer psychischen Krise war. Was hat ihn in eine psychische Krise gebracht? Es wird gar nicht über die traumatisierenden Erfahrungen gesprochen, die Ibrahima vermutlich, wie so viele andere Menschen, auf der Flucht gemacht hat. Oder die Geschichte von der Isolation, die dadurch entsteht, in einer Geflüchtetenunterkunft leben zu müssen. 

Ibrahimas Tod steht klarerweise im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tasern. Es ist bekannt, dass Menschen in psychologischen Krisen statistisch öfter getasert werden. Sie sterben auch häufiger durch Tasereinsätze. Weil Menschen in psychologischen Krisen sich anders verhalten als sonst zu erwarten, tasert die Polizei sie einfach, anstatt dass professionelle Unterstützung geholt wird. Wie im Fall von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund sehen wir, dass die Kombination von Rassismus und Ableismus fatal ist. Ganz grundsätzlich gilt: Taser sind tödlich. Sie können zu Herzstillständen führen. Es wird immer wieder so getan, als stünden Herzstillstände und Tasereinsätze in keinem kausalen Zusammenhang. Selbst nach der Handlungsanweisung NRW für Tasernutzung dürfen sie bei bestimmten Vorerkrankungen nicht eingesetzt werden. Weil die Polizei das aber im Einsatz gar nicht vorher wissen kann, müsste die logische Schlussfolgerung sein, Taser gar nicht einzusetzen.

Es sind viele weitere Fragen offen. Wurde Ibrahima mit einem Knie auf dem Rücken fixiert? Spätestens seit dem Tod von George Floyd ist bekannt, dass dieses Vorgehen der Polizei tödlich ist. Was ging dem Tasereinsatz voraus? Sind die vorliegenden Bodycam-Aufnahmen der Polizist*innen lückenlos? Dokumentieren sie womöglich weitere Polizeigewalt? Hat Ibrahima unverzüglich ärztliche Versorgung erhalten? Sind die 9 Polizeibeamt:innen, gegen die die Staatsanwaltschaft Duisburg auch ein Jahr nach dem Tod von Ibrahima weiter ermittelt, weiterhin im Einsatz tätig?​​​​​​​
Wir wollen klare Antworten auf all diese Fragen. Wir erwarten, dass es in diesem Fall Konsequenzen gibt, anders als zuletzt in Dortmund. Alle angeklagten Polizist*innen wurden dort freigesprochen. Keine Konsequenzen.

Es muss öffentlich werden, was am 06. Januar 2024 passiert ist. Was wissen wir? Wir wissen, wie systematisch rassistisch die Polizei ist. Wir wissen, dass Ibrahima unmittelbar als eine Bedrohung angesehen wurde, genauso wie Mouhamed. Wir wissen, dass Ibrahima jahrelang eine Arbeitserlaubnis verweigert wurde. Wir wissen, dass er ausgegrenzt wurde und keine staatliche Unterstützung bekommen hat. Wir wissen, dass ihm keine Zukunftsperspektive gegeben wurde. Wir wissen, dass er in Verzweiflung gedrängt wurde. Wir wissen, dass er am Ende von der Mülheimer Polizei getötet wurde.

Ibrahimas Tod ist kein Einzelfall. 2023 sind mindestens 43 Menschen durch Polizeieinsätze getötet worden. 2024 sind mindestens 22 Menschen durch Schüsse von der Polizei getötet worden und viele weitere durch Polizeieinsätze. Was im schlimmsten Fall mit dem Tod endet, nimmt seinen Anfang in der systematischen Ausgrenzung von migrantischen Menschen, von psychisch belasteten Menschen, von armutsbetroffenen Menschen. 

Die Polizei tötet. Ohne Konsequenzen. Immer wieder. Denken wir an Oury Jalloh in Dessau, Christy Schwundeck in Frankfurt, Ante P. in Mannheim oder Rooble Warsame in Schweinfurt.

Das Problem ist der systematische Rassismus. Die Polizei tötet vor allem Schwarze Menschen, Menschen of Color und Migrant*innen und das ist kein Zufall. Das sind die Grenzen außerhalb und innerhalb Deutschlands, deren Gewalt Ibrahima und so viele andere erleben. Es geht nicht um ein paar rassistische Polizist*innen, sondern den Rassismus, den die Institution Polizei aufrechterhält. Die Polizei kann sich selbst nicht untersuchen, sie kann nicht neutral sein.

Es wird keine Gerechtigkeit für Ibrahima und alle anderen Betroffenen von Polizeigewalt geben, bis die Bedingungen abgeschafft werden, die deren Tod möglich gemacht haben. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, dass wir an sein Leben denken. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, nicht die entmenschlichenden Geschichten, die die Polizei und Medien über ihn erzählen, einfach so stehen zu lassen. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, gemeinsam gegen Rassismus zu kämpfen. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet zu verhindern, dass die Polizei weitere Menschen tötet. Gerechtigkeit für Ibrahima bedeutet, für ein gutes Leben für alle einzustehen.

Wir fordern:

*Psychologische Krisendienste, die anstatt der Polizei gerufen werden können.

*Stoppt Racial Profiling!

*Stoppt den Einsatz von Tasern!

*Stoppt die Praxis der Kniefixierung!

*Die Polizist*innen, die an Ibrahimas Tod beteiligt waren, müssen entlassen werden.

*Eine unabhängige Instanz, die gegen Polizeigewalt ermittelt.

*Anstatt Polizei und Militär immer mehr Geld zu geben, Geld für soziale Projekte.

*Psychologische Unterstützung und Arbeitserlaubnis für alle Geflüchteten.

*Eine offizielle Entschuldigung und Beileidsbekundung für die Familie Barry von der Polizei und der Stadt Mülheim an der Ruhr.

*Nicht nur entschuldigende Worte, sondern Umverteilung von Geldern für Projekte für Schwarze Jugendliche in Mülheim an der Ruhr.

*Ende des strukturellen Rassismus der Polizei.

Wir kämpfen für Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen! Unsere Kämpfe sind verbunden. Denn für die Gerechtigkeit für einzelne Betroffene von tödlicher Polizeigewalt zu kämpfen, heißt für alle zu kämpfen! Erinnern heißt kämpfen! 

Gerechtigkeit für Ibrahima!